Erfahrungsbericht: Wenn man endlich zu Hause ankommt...

Dies ist ein Erfahrungsbericht von Katja. Da ich die Freiheit unserer Gastautor:innen respektiere, ist der Text 1:1 kopiert. Für den Inhalt des Textes wird keine Haftung übernommen.

Triggerwarnung: Seelisch-psychische Belastungen

Ich lese gerne Deine Berichte in FB und arbeite auch selbst als Erzieherin im Ü3 Bereich. Gerne folge ich Deinem Aufruf über Erfahrungen mit beeinträchtigten Menschen Im DLP zu schreiben.

Meine schönste Erfahrung habe ich vor mehreren Jahren mit einem Kurzzeitpflegemädchen gemacht, die mit uns in Paris war. Zur Erklärung… bei Kurzzeitpflege handelt es sich meist um Kinder, die ca. 3 Monate in eine andere Familie müssen. Wir haben das 16 Jahre lang gemacht. die Kids waren oft wegen Gewalt, Drogen und ähnlichem bei uns … aber auch ein fieser Sorgerechtsstreit mit Gutachten kann zu so einer Situation führen. Und jeder der schonmal ein Gutachten jedweder Art vor Gericht hatte weiß: das dauert Monate  … so auch bei A. Sie war 9 Jahre alt als sie zu uns kam. Und blieb etwas über 2 Jahre.

Anna-Maria* hatte eine schwere Traumafolgestörung. Sie war stark entwicklungsverzögert, besuchte eine Sonderschule. Sie wachte nachts mehrfach schreiend auf, nässte ein, bekam tagsüber Panikattacken und hatte riesige Konzentrationsschwierigkeiten. Im Auto spuckte sie stundenlang. Eine Reha hatte sie schon hinter sich, der Kinderpsychologe war am Start. Notfalltasche für Panikattacken immer dabei. Aber eine Änderung ihrer Gesamtsituation war noch lange nicht in Sicht. (Ein Behindertenausweis natürlich auch nicht, denn wenn sich die Sorgeberechtigten nichtmal über die Beschulung einigen können …)

"…und die willst Du mitnehmen?" fragte meine Nachbarin? Da versaust Du Dir ja den ganzen Urlaub!

Naja der Urlaub war schon lange gebucht und  angesichts ihres Zustandes kam eine Ersatzkurzzeitfamilie nicht in Betracht - sie hätte stationär aufgenommen werden müssen … klar kam sie mit.

(Ich hatte ja schon früher Pflegekinder mit dabei gehabt, würde schon schiefgehen) Jugendamt gab sein Ok. Alle Beteiligten, die das Sorgerecht wollten: ebenso Anna-Maria* dazugebucht. 5 Tage Santa Fe / 2 Erwachsene/ 5 Kinder unter 12 /Halbpension / Prinzessinnenessen und Frühstück mit Figuren.

Und was soll ich sagen: Es war so als würde sie Heimkommen… schon während der Hinfahrt wurde wenig gespuckt. Sie schaute Disneyfilme und war friedlich.

Unser Ritual nach dem Ankommen erstmal Ohren und Autogrammbücher kaufen überforderte sie überraschender Weise nicht.  Und dann im Park (Februar, Scheematsch) ging sie richtig ab. Alle wollten nachmittags ins Hotel ausruhen… Sie nicht. Sie sammelte mit mir Autogramme bis das Ding voll war. Und sie schlief nachts dabei gut. Beim Buffet brauchte sie Jemanden, der mit ihr hinging, schaffte es aber immer was zu Essen zu finden. Sie fühlte sich trotz Menschenmassen sicher.

Wir haben die Parade geschaut und das Feuerwerk - sie war völlig begeistert.

Und das absolute Highlight war als sie beim Prinzessinnen Essen auf Belle traf. Sie war selber als Belle verkleidet und so glücklich und entspannt, wie ich sie in der Zeit vorher noch nie gesehen hatte.

Klar hatten wir auch Probleme: Autogrammbuch auf dem Klo vergessen = Panikattacke, Dschafar tut so als ob er ihr Autogrammbuch wegwerfen will - sie schreit (richtig wüst)  Dschafar an und regt sich noch mindestens ne Stunde über ihn auf. (Cast Member fanden sie so süß - wütender "Bellezwerg" der Dschafar anbrüllt… aber für sie war es ein echtes Drama) und natürlich die Klassiker: Schreianfälle wegen nicht gekaufter Krönchen, nicht zutragende Glitzerschuhe bei Schneematsch usw. aber für dieses Kind war Disneyland hilfreicher als viele Therapien die sie vorher hatte und darum schreibe ich diesen Erfahrungsbericht.

Ich will allen wirklich  Mut machen, die sich für so einen Urlaub interessieren. Die Cast Member sind super hilfreich auch ohne Behindertenausweis. Es ist alles Videoüberwacht, da geht definitiv kein Kind verloren. Wenn man vorher in den Restaurants anruft und um eine „ruhigere Ecke“ bittet, bekommt man tolle Plätze.

Einfach die Speisekarten vorher im Internet ausdrucken und übersetzen und (in der Schlange der Attraktion vorher) schon mal aufschreiben was die Kids essen wollen. Lärmschutzkopfhörer und Klickerwürfel für unübersichtliche Situationen. (zum Beispiel wenn alle nach dem Feuerwerk rausströmen) um Panik zu vermeiden. Wichtig ist genügend Material für die vielen Wartezeiten dabeizuhaben. Man muss eben viel anstehen. (In unserem Fall Klemmbrett mit Malvorlagen und viel Fidgets) Nehmt Euch Zeit für die vielen ruhigen Ecken (Piratenhöhlen, Nautilus ,Schneewittchenbrunnen)  und dann wird es unvergesslich.

Anna-Maria* war selten wieder so entspannt wie in diesen paar Tagen. Ihr Therapeut hat die Disneyfiguren später sogar in ihr Therapie mit eingebaut, da sie ihr so viel Sicherheit gegeben haben.

Wir hatten keine grüne oder Orange Karte für sie und haben trotzdem eine sehr tolle Zeit dort verbracht.

Für Kinder mit eher mittelschweren Beeinträchtigungen ist Disney einfach toll. Klar mit Behindertenausweis wird vieles nochmal einfacher das Anstehen fällt weg, Figuren nehmen sich nochmal besonders Zeit, es gibt besondere Zimmer usw. aber mein persönlicher Eindruck war und ist, dass es sich wirklich lohnt.

Liebe Grüße
Katja

*Name wurde geändert